Dobermann - Sport und Zucht -

Kurzfassung des Artikels (mit freundlicher Genehmigung der Redaktion)
,,Wachsende erbliche Gesundheitsprobleme in der Rassehundezucht am Beispiel des Dobermanns in Deutschland,
in Europa und in den USA - eine vergleichende Übersicht"

von Dr. Reinhard Haberzettl   Erschienen in "Das Schäferhund Magazin" Nr.4 August 2002

Der Dobermann wurde Ende des 19. Jahrhunderts aus einer bunten Mischung verschiedener Rassen und Mischlinge herausgezüchtet (Göller 1912, Dorn 1957). Diese genetische Vielfalt (Heterozygotie) war ein großer Vorteil für die Gesundheit, denn bis ca. 1950 gab es erblich bedingte Probleme weltweit praktisch nicht. Der Dobermann war vital und langlebig

Infolge der Massenzucht des Dobermanns mit auffallend starker Inzucht bei gleichzeitig ungenügender Beachtung der Erbgesundheit ist die nordamerikanische Dobermann-Population mit 6 Erbdefekten extrem hoch belastet, so dass man von einer starken Degeneration der Rasse sprechen muss, die mit züchterischen Mitteln kaum reparabel sein dürfte. Die deutschen und die europischen Populationen sind in vielen Zuchtlinien mit 2 Erbdefekten hnlich hoch belastet wie in den USA, die 4 anderen Erbdefekte sind noch seltener, aber eine Zunahme ist erkennbar. Für den Hundefreund und Genetiker völlig unverstndlich ist die Tatsache, dass bis heute weder in den USA noch in Deutschland eine Einschrnkung der Inzucht und ein konsequenter Zuchtausschluß belasteter Hunde durch die Zuchtleitungen stattfindet.

Rassehundezucht und gute Gesundheit - Utopie oder ein erreichbares Ziel?

Es seien mir einige kurze, kritisch-konstruktive Gedanken zu einem für die Zukunft wesentlich höheren Stellenwert der Gesundheit in der gesamten Rassehundezucht erlaubt, denn es betrifft fast alle Rassen. Namhafte Tierrzte, Genetiker, Züchter und Tierschutzexperten kritisieren zunehmend die Qualitt der Zuchtlenkung von einem Teil der Rassehundeorganisationen, in denen die Gesundheit zu wenig beachtet wird. Es wird nachdrücklich verlangt, das Merkmal Gesundheit als Zuchtziel genauso stark zu berücksichtigen wie die Merkmale Schönheit und Charakter (Wesen). Diese Forderung sollte zukünftig für alle Rassen eine Selbstverstndlichkeit werden! Die Kritik der ungenügenden Beachtung der Gesundheit fasse ich in 4 Kritik-punkten zusammen:

1. Schönheitszucht darf die Gesundheit nicht belasten, infolge zu extremer Interpretation des Standards auf Ausstellungen und in der Zuchtpraxis, sondern der Rassestandard muss der Gesundheit nützen (1998)

2. Erbfehler dürfen durch die Schönheitszucht nicht mehr toleriert werden, sondern müssen schnell bekmpft werden. Veterinrmedizinische und tierzüchterisch-genetische Institute der Universitten bieten hierfür kompetente Hilfe an. Die Zuchtleitungen, Zuchtrichter, Zuchtwarte und Züchter sind nicht nur verantwortlich für Schönheit und Charaktereigenschaften ihrer Rassehunde, sondern jeder Einzelne muss bei gesundheitlichen Fehlentwicklungen verantwortungsbewusst gegensteuern, ohne Rücksicht auf vorübergehende finanzielle und prestigemßige Einbußen.

3. Viele Zuchtleitungen (nicht alle) haben die Angebote der Universitten einer Hilfestellung bei der Erbfehlerbekmpfüng in der Vergangenheit nur ungenügend oder überhaupt nicht genutzt (Eichelberg 1998). Diese Zusammenarbeit ist logistisch aufwendig und stellt höhere Anforderungen an die Verantwortlichen. Sie verlangt Ehrlichkeit, Verantwortungsgefühl und die Bereitschaft, sich stndig weiterzubilden!

4. Die Rolle einer unkontrollierten Inzucht sollte bei allen Rassen endlich stark eingeschrnkt werden, weil diese zu einer Anhufung von Defektgenen geführt hat. In erbfehlerbelasteten Zuchtlinien muss auf Inzucht völlig verzichtet werden, bzw. alle Zuchttiere mit ußerer und erblicher Degeneration sollten von der Zucht ausgeschlossen werden.

In diesem Beitrag beschrnke ich mich auf die Kritikpunkte 2 und 3 am Beispiel des Dobermanns. Die ungenügende Beachtung aller 4 Kritikpunkte bei vielen Rassen, führte in den letzten Jahren zu einem unnötigen Image-Abfall der gesamten Rassehundezucht in der Öffentlichkeit. Hier sind mehr Selbstkritik und mehr Verantwortungsgefühl der Rasse gegenüber und der Welpenkufer gegenüber, sowohl auf der Züchter-Ebene, als auch auf der Ebene der gewhlten Zuchtleitungen nötig. Wenn es den Verantwortlichen von gesundheitlich belasteten Rassen nicht schnell gelingt, eine Schadensbegrenzung zu erreichen, dann werden wir in Deutschland und in Europa eine hnliche Entwicklung nehmen, wie in den USA seit ca. 10 Jahren zu beobachten ist (Günter 1996). Hier sinken die Eintragungszahlen bei fast allen Rassen kontinuierlich ab - extrem stark beim Dobermann - weil sich immer mehr Hundeliebhaber lieber einen Hund aus dem Tierheim holen, oder einen gesünderen Mischling erwerben.

1. Merkmal: Plötzlicher Herztod (Kardio myopathie)

Betroffen sind viele Hunderassen in unterschiedlicher Hufigkeit, aber in den Todesfall Statistiken aller Rassen nimmt der Dobermann in den USA und in Deutschland mit Abstand den traurigen Platz 1 ein. Kraft (1989) von der Universitt München stellt eine Herztod-Statistik aus dem Sektionsmaterial verschiedener pathologischer Institute vor, in der der Dobermann am hufigsten, vor der Deutschen Dogge, dem Bernhardiner und dem Deutschen Schferhund steht. Kraft stellt darüber hinaus ein regionales Umfrageergebnis des Dobermann-Vereins (VDH) aus Süddeutschland vor. Von 92 Todesfllen waren 24 an Herztod gestorben. hnlich der Situation in Deutschland sieht die umfangreiche HerztodStatistik über Rassehunde von Calvert u. Pickus 1982, 1989) aus den USA aus. Der Dobermann ist mit Abstand Spitzenreiter vor der Deutschen Dogge, dem Irischen Wolfshound und dem Bernhardinern

Die Mehrzahl der betroffenen Dobermnner stirbt im Alter von 3 bis 5 Jahren (van der Zwan 1987). Dabei ist sowohl in Nordamerika als auch in Europa ein zunehmendes Absinken des Sterbealters festzustellen (Kollenberg 1998). Generell lassen sich beim Dobermann zwei Verlaufsformen in Abhngigkeit von der Schnelligkeit des Todes und von anderen Merkmalen unterscheiden (van der Zwan 1987, Schüler 1997). Typ A: Herzrhythmus-Störungen. Bei diesem hufigsten Typ des Herztodes tritt der Tod angeblich ohne (??) ußere Vorwarnung sehr plötzlich auf. Der Hund fllt um, ist tot. Zur Diagnosierbarkeit von Herzrhytmusstörungen beim Hund wurde wenig veröffentlicht, aber im Langzeit-EKG sollte dies wie beim Menschen möglich sein. Typ B; Herzmuskelschwche. Bei diesem weniger hufigen Typ des Herztodes ist ein schleichender Verlauf über lngere Zeit hinweg festzustellen. Hufig husten die Hunde morgens infolge Wasseransammlung in der Lunge. Diagnostisch lassen sich Herzvergrößerungen und Gefßvernderungen lange vor dem Tod feststellen.

Da ca. 3/4 aller Herztod-Dobermnner in der Statistik Rüden sind, ist ein starker Geschlechtseinfluss zu vermuten. In deutschen und amerikanischen Dobermann-Stammbumen ist eine auffallende Todesfallhufung über mehrere Generationen festzustellen (Abb. 1). Die Erblichkeit des plötzlichen Herztodes kann als mittel bis hoch eingeschtzt werden. Da das Symptom Herztod auf verschiedenen Herzschden beruhen kann und von einer gewissen Umweltbeeinflussbarkeit der Schden auszugehen ist, könnte ein komplizierter polygener Erbgang vorliegen. Zur Aufklrung der Genetik ist eine Zusammenarbeit der Zuchtvereine mit Genetikern erforderlich. Calvert u. Pickus empfehlen den Vereinen, möglichst viele Zuchttiere und deren Nachkommen einer standardisierten Herzuntersuchung zu unterziehen. Eine Kombination mehrerer Methoden ist sinnvoll, wie z.B. Langzeit-EKG zur Diagnose von Funktionsvernderungen und z.B. Ultraschall-Test zur Erkennung von Größenvernderungen.

2. Merkmal: Magendrehung

Die Magendrehung tritt bei vielen großen Rassen auf allerdings in unterschiedlicher Hufigkeit. Es ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, die schnellstens tierrztlich versorgt werden muss, wenn der Hund überleben soll. Nach Willis (1994) sind in Europa der Deutsche Schferhund, der Berner Sennenhund und der Dobermann am hufigsten betroffen. In den USA sind nach einer Todesfall-Statistik über 26 Rassen (Schüler 1997) besonders stark betroffen die Deutsche Dogge, der Bernhardiner und der Weimaraner. Der Dobermann steht hier im Rassenvergleich erst an 8. Stelle, jedoch mit stark zunehmender Tendenz. Von 1964 bis 1994 erhöhten sich die Klinikeinlieferungen dieser Rasse dramatisch um 1500 % !!

Von insgesamt 92 registrierten Todesfllen beim Dobermann in Süddeutschland starben 15 (16%) an Magendrehung. In Deutschland wurden mehrere Dobermnner im Laufe ihres Lebens sogar 2mal erfolgreich an Magendrehung operiert und danach zur Zucht verwendet. Eine Hufung von Magendrehungen innerhalb bestimmter Zuchtlinien ist auffallend - die genetische Basis ist deutlich, aber auch Umweltfaktoren spielen eine Rolle. Der Erbgang ist noch nicht exakt bekannt. Wegen der Umweltbeeinflussbarkeit der Magendrehung (z.B. Füllmenge im Magen, Bewegung oder Ruhe nach den Mahlzeiten, anatomische Besonderheiten der Form des Brustkorbs, Brusttiefe u. Brustbreite u.a.) ist ein polygener Erbgang zu vermuten. Die Erblichkeit kann z. Z. als mittel eingeschtzt werden.

3. Merkmal: Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose)

Neben dem Dobermann sind auch Husky, Malamute, Labrador und Beagle mit diesem Erbdefekt belastet (Willis 1994). Nach Dodds(l988) hatten zu diesem Zeitpunkt über 60 % der Dobermnner in den USA eine Unterfunktion der Schilddrüse.

4. Merkmal: von - Willebrand - Krankheit (= VWD - Bluter)

Die ,,von -Willebrand-Krankheit' ist eine ganz spezielle Blutgerinnungsstörung, die autosomal und unvollstndig dominant vererbt wird (Schüler 1997). Homozygote (reinerbige) Bluter sind lethal, heterozygote (gemischterbige) Bluter sind lebensfhig. ußere und innere Blutungen, die bei diesem Blutertyp sehr lange anhalten, können jederzeit auftreten und müssen tierrztljeh behandelt werden! Keine andere Hunderasse in den USA ist von dieser Bluterkrankheit so stark betroffen wie der Dobermann.

Vermutlich ist der europische Dobermann z.Z. noch wenig belastet mit dem Bluter-Defektgen, aber genaue Zahlen existieren nicht. Da seit ca. 1970 langsam aber zunehmend US-blütige Zuchttiere in den Niederlanden, Italien, Norwegen , Ungarn und in Deutschland - fast unauffllig selbst für Insider-Züchter - eingekreuzt wurden und werden, sollte die europische Population überprüft werden.

5. Merkmal: Wobbler-Syndrom (Lhmungen)

Das Wobbler-Syndrom ist eine erbliche degenerative Erkrankung der Halswirbelsule meist im mittleren Lebensalten Deformierte Bandscheiben und Wirbelkörper drücken so stark auf Teile des Nervengewebes im Rückenmark, dass Schmerzen, Bewegungsstörungen und Lhmungen auftreten. Doch genaue Zahlen sind weder für Nordamerika noch für Europa bekannt. Der exakte Erbgang ist unklar, weil die Zusammenarbeit der Zuchtvereine mit den Universitten viel zu schwach ist. Van der Zwan (1987) vermutet einen polygenen Erbgang wahrscheinlich hoher Erblichkeit.

6. Merkmal: Degenerative Augenerkrankungen (PHTVL, PHPV)

Sehstörungen bis hin zur völligen Erblindung infolge einer genetisch bedingten Degeneration am Auge treten bei vielen Rassen unterschiedlich hufig auf. Nach Willis (1994) sind am strksten betroffen der Staffordshire Bull Terrier Basenji und der Dobermann.

Schlußfolgerungen für alle Rassen.

Am negativen Beispiel des Dobermanns in den USA (z. T. auch in Deutschland) kann der Leser erkennen, dass in weniger als 20 Jahren aus einer urgesunden, vitalen und langlebigen Hunderasse eine krankheitsanfllige Rasse mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von unter 7 Jahren entstanden ist. Die genetische Degeneration der gesamten Population der USA ist infolge der Zucht mit kranken Tieren (Phnotyp und Genotyp), sowie durch viel Inzucht so weit fortgeschritten, dass eine mittlere Lebenserwartung von über 5 Jahren für jeden einzelnen Hund nur mit großem finanziellem und tierrztlichem Aufwand (z.B. tglich 1 Tablette Schilddrüsenhormon, Herzmedikamente, Blutgerinnungsprparate u.a.) erreichbar ist!! Generell gilt für alle Rassen mit hufigen Gesundheitsproblemen folgende Regel. Veterinrmedizinische Maßnahmen (Diagnostik und Therapie) reichen für die Zuchttiere nicht aus sondern zustzlich muss der Genpool der gesamten Zuchtpopulation mit Hilfe intelligenter tierzüchterisch-genetischer Zuchtstrategien verbessert werden, d. h. besonders Selektion. Folgende tierrztliche und tierzüchterische Maßnahmen sollten gemeinsam angestrebt werden:

1. Rassenspezifisch könnten zukünftig alle Zuchttiere ein Zertifikat einer standardisierten Untersuchung von Universittskliniken hinsichtlich aller Problemmerkmale der Rasse (z.B. für Dobermann die 6 Merkmale aus Tab. 1) nachweisen, um kranke Zuchttiere (Phnotyp) und erblich belastete Zuchttiere (Genotyp) erkennen und selektieren zu können. Dieses Zertifikat ließe sich auch für eine strkere Verknüpfüng von Zucht, Gesundheit und Ausstellungswesen ausnützen.

2. Die Durchführung dieser Untersuchungen erfordert engagierte, logistische Vorbereitungen und Absprachen zwischen Zuchtleitungen und Universitten, der erste Schritt muss aber immer von den Zuchtleitungen kommen.

3. Inzucht und Linienzucht (weite Inzucht) sind zukünftig mit Zuchttieren aus Linien mit erhöhtem Gesundheitsrisiko (z. B. für Herztod und Magendrehung beim Dobermann) unbedingt zu unterbleiben. Statt dessen könnten Zuchtleitungen ihren Mitgliedern intelligente Fremdzucht-Strategien erarbeiten, in denen gesundheitsgeprüfte Zuchttiere an 1. Stelle stehen.

4. Der VDH sollte national und die FCI international die Gesundheit als Zuchtzicl des Rassehundes strker auf ihre Fahnen schreiben als bisher. Beispielsweise durch eine Reform des Ausstellungswesens (Herzog 1998) könnten die Dachorganisationen der Rassehundezucht, in gewisser Weise ,,von oben", Ausstellungshunde und Zuchthunde mit Gesundheitszertifikat bevorzugen, bei der Vergabe von Sieger-Titeln und bei der Platzierung und so das Zuchtziel Gesundheit erheblich fördern. Innovative, rassespezifische Bekmpfungsstrategien von Erbkrankheiten - gefördert, gefordert und kontrolliert von VDH und FCI- können so den angeschlagenen Ruf der Rassehundezucht in der Öffentlichkeit verbessern, zum Nutzen, vor allem für unsere Hunde.

ISSN 1617-7657 © 2002 DSZ, ©   "Das Schaeferhund Magazin"


Sie können diesen Artikel in Originalfassung lesen. "DAS SCHAEFERHUND MAGAZIN" , Nr. 4 August 2002
Das Magazin kann als einzelnes Heft über die Webseite: http://www.schaeferhund-magazin.de/ bezogen werden.

| HOME | | ENGLISH | | ZWINGER | | DECKRÜDEN | | LINKS|